Montag, 27. Oktober 2008

A little bit

I think I am a little bit in love with you.

In Seattle war das Wetter, wie nicht anders zu erwarten, hervorragend, nachdem wir eine lange morgendliche Zugfahrt bei Kälte und Nebel verbracht hatten. Mal ganz ehrlich, Städte sollten uns touristenwirksam mieten. Wir liefern Ihnen das gute Wetter direkt vor die Haustür.

Am Freitag haben wir direkt mit einem der Wahrzeichen begonnen, der Space Needle, die verdächtig nach Star Trek aussieht. Während die anderen eine Fahrt mit dem Fahrstuhl und einen Ausblick 16€ wert fanden, habe ich stattdessen ein wenig Seattle unter die Lupe genommen, genauer die Waterside, und für gut befunden. Seattle ist nun wirklich eine Großstadt, Wolkenkratzer, schicke Leute und solche, denen man ansieht, dass sie einmal computer nerds waren und heute gut verdienen, aber immer noch gekleidet sind wie früher. Daneben zwar auch Touristentrauben und viele Obdachlose, aber insgesamt habe ich mich relativ sicher und wohl gefühlt. Obgleich unser Hostel nicht gerade in der besten Gegend gelegen war (dafür aber billig, gutes Gratisfrühstück, sauber, freundlich).

Außerdem haben wir sehr lecker "afrikanisch" gegessen und abwechslungsreiche Shoppingerfahrungen gemacht: ganz tolle, kleine Edelboutiquen mit skandinavischer Mode; noble Vintage-Shops mit traumhaften Korsetts und Filmdiva-Hüten; spezialisierte Geschäfte von Retro-Unterwäsche über Ministrickjacken für den eleganten Mops von Welt bis hin zu dem (un)möglichstem DiesundDas (apropos, der Modehund ist anscheinend momentan die englische Bulldogge, die mir ja höchst sympathisch ist).
Bei der Gelegenheit muss ich auch noch einmal das Loblied der amerikanischen Höflichkeit anstimmen. Wenn ich in Deutschland, gekleidet in H&M und 2nd-Hand-Jacke, einen Laden mit Designerware auf der Stange und Menschen wie aus dem Modekatalog hinter dem Tresen betrete, fühle ich mich immer unwohl. Meistens treten die Verkäufer/innen auch dementsprechend überheblich und unfreundlich auf, falls sie einen nicht direkt ignorieren.
Hier wird man freundlich begrüßt und in aller Höflichkeit wie ein echter Kunde behandelt, oft auch in ein nettes Gespräch verwickelt. Eine ganz andere Erfahrung, ich werde noch zum fashion junkie.
Denn wenn man die Möglichkeit hat, ungeachtet des Einkommens ungezwungen zu stöbern und anzuprobieren und Fragen zu stellen, dann entwickelt man ja auch einen ganz anderen Geschmack (nach fünf solcher Läden bei H&M einzutreten, das tut einfach nur weh, optisch und taktil) und eine Wertschätzung für solche Dinge. Und kommt eventuell zurück, wenn man Geld verdient. Nur mal so als Anregung für deutsche Geschäftsinhaber/innen ;)

Ansonsten haben wir an der berühmten Seattle Underground Tour teilgenommen, bei der dem Touristen die Stadt unter der Stadt gezeigt wird (nachdem Seattle nämlich Ende des 19.Jahrhunderts fast komplett abgebrannt ist, wurde bei dem Aufbau von Seattle 2.0 selbiges direkt höher gelegt, um ungünstige Lageverhältnisse (Nässe bei Flut, Unebenheit des Bodens) zumindest etwas auszugleichen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das ehemals erste Stockwerk zum Keller und in diesem neuen Untergrund siedelten sich dann später im 20. Jahrhundert Bars, Opiumhöhlen und chinesische Wäschereien an.
Heute ist das alles touristenwirksam aufbereitet worden, mit liebevoll wie malerisch inszenierten Arrangements in einer Umgebung, die ansonsten aussieht wie unser Keller vor der Renovierung, und einer sehr witzigen Führung, die sich selbst nicht so ganz ernst nimmt.

Und wir haben eine Fähre genommen, um den Hafen und Seattle's Skyline zu genießen, gerade bei so wunderbarem Wetter, wie wir es hatten (leider lag da meine Kamera gerade im Hostel). Seattle liegt nämlich teilweise auf den Inseln draußen, wo schöne herbstgoldene Bäume unter pittoresken Wölkchen liegen, die aussehen wie von Van Gogh inspiriert. Auf den Piers flaniert, zwischen Touristenfallen und noch mehr computer nerds. Und vielen, vielen Kindern zwischen 1 und 10, teilweise schon in Halloween-Kostümen. So niedlich.

Ansonsten sind wir sehr viel gelaufen (auch wenn ich den Eindruck habe, dass wir uns immer auf demselben Quadratkilometer bewegt haben), haben in einem Irish Pub mit Liveband gefeiert und in einem Café mit Namen "Zeitgeist", europäisch/30er, einen sehr leckeren Kaffee getrunken. Letzteres erwähne ich nur, weil das eine Seltenheit ist während eines Seattle-Besuchs. Seattle ist nämlich Starbucks Kriegsgebiet.
Die erste Starbucks-Filiale erblickte in Seattle das Licht der Welt. Das hat dazu geführt, dass es hier eine gefühlte Million Filialen gibt (um nicht zu sagen: an jeder Ecke), selbst dort, wo man es nicht vermutet, weil zur Tarnung ein anderer Name gewählt wurde (vermutlich ist sogar der Zeitgeist nur ein Starbucks inkognito gewesen). Chinatown, sehr gammelig, durchhastet, und fast meine von Angst vor Kidnapping getriebene Gruppe verloren.

Alles in allem ist Seattle einfach schön gewesen (Portland wurde vom Thron gestoßen, ich liebe jetzt nur noch Seattle... ;)), hier wehte ein so anderer Wind (nämlich ein salziger und Meer ist immer noch ein nicht zu schlagender Vorteil jeder Stadt). Ich habe mich sehr wohl gefühlt, das Wetter war ein knallblauer Himmel, der uns eine Stadt wie aus dem Bilderbuch bescherte. Mir ist es wirklich schwer gefallen, am Sonntag abzureisen und ich überlege, nach dem Semester mit Stefan (dessen Begeisterungsfähigkeit und Abenteuergeist ich vermisst habe) noch einmal hinzufahren. Ich habe die steilen Straßen gemocht, die englischen Bulldoggen, die europäisch anmutetenden Designer- und Vintageshops, die schönen Gebäude, die Verrückten auf den Straßen (so war da ein Obdachloser, ganz alt und ganz verwirrt, der etwas schrie von 437 Prostituierten, denen er Gewalt antun würde... klar, es war verstörend und er tat mir auch leid, aber das war der Form nach unverkennbar Beat Poetry... ich glaube, ich habe einen alternativen Toleranzspiegel). Manche Situationen waren bedrohlich, aber die meisten beschränkten sich auf ein paar Meter, vor einem seltsamen Laden (Sexkino?) in der Nähe des Hostels.

Aber insgesamt will ich wieder zurück ;)



Erste Eindrücke von


Cocktailninjas



und Fliegenspionen.



Waterside




Hafengiraffen



Fotoshooting am Pier



Luftpiraten in China-Town





Ausblick vom Pike Public Market, gegenüber des Hotels. In Punkto steiler Straßen braucht sich Seattle also von San Francisco nichts vormachen lassen.



Kein dolles Fotomotiv. Und darum geht es auch gar nicht. Ich will da schlichtweg einfach wohnen. Genau in dem Haus, mit dieser geschmackvollen Fassadenfarbenpalette.



Und mit Meeresblick.



Das Seattle Underground Museum

Seht ihr nun, was ich mit "liebevoll-malerischen Inszenierungen" meine? Das ist doch ein Guckkasten-Kabinett, mit Rahmen. Museumskultur in Reinform. Wunderbar :)



Allerdings bin ich geneigt, anzuerkennen, dass die Spinnweben und der Rost echt sind.



Steampunk



Außerdem gab es diese typische "manche Leute sehen hier Geister, zwar habe ich persönlich hier noch nie welche gesehen, aber seltsamerweise ist es an dieser Stelle besonders kalt und das Berichtete stimmt überein"-Huibu-Geschichte, die ich unserer Tourführerin nur verziehen habe, weil sie so sympathisch war.
Nichtsdestotrotz gehöre ich zu den Auserwählten, die einen Geist im Untergrund gesehen haben :) Könnte sogar ein Dämon sein.

1 Kommentar:

Stockholmsyndrom hat gesagt…

ich bin sooo neidisch... das klingt alles total schön und aufregend.