Montag, 15. September 2008

Portland

Gestern waren wir also in Portland – viel erwartet und nicht enttäuscht worden. Gerade nach der Kleinstadterfahrung Salem erscheint Portland fast als mondäne Großstadt. Die sich bei 26°C und Sommerhimmel dann auch im besten Licht präsentiert hat. Zumal die wunderschönen Gebäude typischerweise aus cremeweißen, lasierten Ziegeln sind oder zumindest so aussehen. Portland strahlte also wie ein 80er-Jahre-Schleiflack-Schlafzimmer mit Südfenster. Richtig prima.

Zunächst waren wir auf dem Portland Old Town Saturday Market. „Old Town“, gemessen an europäischen Verhältnissen, ist zwar erst einmal nicht wirklich alt, aber es erinnerte angenehm an Camden Town, nur in der amerikanischen Version. Der Markt war eine Mischung aus einem Hippiemarkt mit vielen subkulturellen Menschen, alles etwas heruntergekommen, aber das mag ich ja ab und an sehr gerne. Ansonsten gab es grelle Batikklamotten (an denen erkennt man übrigens, welche Studenten in diesem Semester schon in Portland waren *g*), billigen, in Asien massenproduzierten Hippie- und Gothicfummel, Anhänger mit Insekten in Gussharz (ärgere mich immer noch, keinen gekauft zu haben, die hatten chinesische Spinnen und richtig fette Käfer, winzige, zarte Krabben und so weiter – so etwas wäre etwas für meine Morbiditätensammlung), Fressbuden, denen ich nicht genug vertraut habe, um dort etwas zu essen, und halt so das, was man auch in Camden Town geboten bekommt (bzw. geboten bekommen hat). Hat sehr europäisch angemutet, alles in allem.

Der zweite Teil, und zwar der traditionellere, war superspannend und uramerikanisch. Viele hausgemachte Kreativsachen, von bieder-plüschig bis schrecklich innovativ, von selbstgemalten Fantasy-Bilder, die bei jedem Kunstpädagogen einen frühzeitigen Herzstillstand hervorgerufen hätten (denkt ihr: Sonnenuntergänge, Pferde mit wehender Mähne, Delphine, Mondschein und das ganze in der Farbpalette rosa-pink-lila-blau? – Dann liegt ihr goldrichtig…), bis hin zu wunderschönen Ständen, die ich am liebsten komplett abgeweidet hätte.

Sachen, denen man förmlich angesehen hat, dass sie jemand in seinem Hinterhof (oder auf seiner front porch sitzend) zusammengebastelt hat, eine gute Idee gehabt und umgesetzt. Do-it-yourself ist ja ursprünglich eine aus den USA kommende Bewegung, auch wenn das leider die amerikaphoben deutschen Grufties nie wissen oder ableugnen.

Allein, wenn man die Kunstwerke und ihre Verkäufer sieht, sieht man schon eine ganze Geschichte: da gab es feine Inlett-Arbeiten mit Kolibris, Jugendstildamen und zierlichen Bäumchen auf Döschen und Spiegeln, Sägen, die in Türschilder mit ausgefrästen Schlechte-Laune-Sprüchen verwandelt worden waren und von tätowierten, kernigen Männern verkauft wurden, Patchwork-Arbeiten, Wachsbildgrußkarten mit esoterischen Sprüchen von alten Leuten, einem Kreiselstand mit buntlackiertem Holzspielzeug von einem asianamerican, eine komplette Patchwork-Hundeausstattung für Handtaschenhündchen, eine Tonpfeifenfrau, die melodische Pfeifen in Form von allen erdenklichen Tieren verkaufte, Schmuck aus Küchengerät von zwei Metallern, evtl. Vater und Sohn *g*… und und und. Man sah förmlich den Hinterhof* vor sich und den amerikanischen Durchschnittsbürger, der plötzlich beschloss, Künstler/in zu werden (das Konzept „Kunst“ ist hier ganz anders, sehr emanzipatorisch – jede/r kann und darf -, was zwar zu einigen gruseligen Ergebnissen führt und, bösen Zungen zufolge, mit dem Bild des US-Amis als Kunstbanausen Hand in Hand geht, aber eben auch zu einer Begeisterung für DIY und sehr viel kreativem Potential führt, das in den letzten Jahren ja auch immer mehr in Deutschland ankommen ist (noch einmal zum Mitschreiben: die USA ist nicht nur die oft angeprangerte Konsum-Nation – DIY und Handarbeit ist eben auch etwas uramerikanisches).

(*Dazu muss ich übrigens sagen, dass der typische amerikanische Kleinstadthinterhof, sofern man sich unterhalb des gehobenen Mittelstands befindet, in etwa so aussieht: ein kleines Holzhaus mit einer Mordsgarage, das in für Deutschland eher ungewöhnlichen Farben gestrichen ist, inmitten einer losen Ansammlung von… nennen wir es ruhig beim Namen: Schrott. Autoreifen, Gartengerät, ein Kaninchenfreilaufgehege, eine Riesenhundehütte, Kinderschaukel, altersmüde Gartenzwerge, die letzten vier Generationen nicht mehr geliebter Wasserbälle, die wie dreckige Kondome in der Hecke hängen… dazu dann manchmal wirklich so einen schwitzigen, Unterhemd tragenden, tätowierten Kerl, das finde ich immer sehr malerisch, so aus der Ferne, weil es genau zu den Filmen passt, die ich gern gucke. Dass das oft Leute sind, denen ich lieber aus dem Weg gehe und dass sich zwischen diesen Häusern auch schon mal penibelst gepflegte Häuschen mit Riesenflagge, rotweißblauen Blumenrabatten und republikanischen Wahlsprüchen im Fenster befinden, passt da ebenso ins Bild wie die Hausschilder, die früher einmal Sägen waren.).

2. Powell’s Bookstore.

Ein auf altmodisch machender Bücherladen von den Ausmaßen eines Walmarts. Allerdings aufgeteilt in unübersichtliche Räume mit deckenhohen Bücherregalen, die einem vorgaukeln wollen, man befände sich in einem kuscheligen Antikbücherladen („altmodisch“ ist nämlich auch so eine Sache, die Amis, glaube ich, sehr schön finden – und zwar hässlich altmodisch, gefällt mir größtenteils nur bedingt). Die einzelnen Räume oder Raumfluchten waren Farben zugeordnet („The Purple Room“, „The Blue Room“, usw.), diese dann wieder mehreren Themengebieten. Klingt ein bisschen wie Hogwarts, sollte es vermutlich auch. So englisch-nostalgisch. Klappte nicht ganz. Und auch die Qualität der angebotenen Bücher… zweifelhaft und für die Preise oft nicht angemessen, meist billigste Massenware. Aber die schiere Fülle an neuen und auch sehr vielen gebrauchten Büchern war einfach überwältigend. Jede/r Autor/in, der/die mir spontan eingefallen ist: vorhanden. Bekannte oder beliebte Werke in mehreren Editionen und Auflagen. Und brechendvoll wie Walmart am Sonntagnachmittag. Oder die Meyersche am 23.12. Da würden deutsche Buchläden blass vor Neid werden, wenn sie das sähen.

Und positiv aufgefallen ist mir mal wieder: wie viel Lyrik hier gelesen wird. Das gehört zum guten Ton, auch bei Studenten. Erst einmal hat Lyrik in der Schule und gerade an der Uni und den Colleges einen sehr viel höheren Stellenwert als bei uns. Außerdem lesen lesende Leute hier eben auch mal eben Gedichte. Das bringt mich immer wieder aus der Fassung und berührt mich. Selbst in kleineren Buchhandlungen ist die Gedichtbandecke bemerkenswert. Hier in Deutschland sind das ja maximal zwei schmale Regale mit kostbar-teuren Luxusausgaben der gängigen Klassiker, die man einem Bibliophilen unter den Tannenbaum legt (nebenbei bemerkt, gefallen mir diese Luxusausgaben aber besser als diese etwas schäbigen Buchausgaben hier – selbst Nietzsche kommt in Pop Art-Farben daher, hinter denen man alles, nur keine Philosophie vermutet; ganz schlimm sind die pseudoantiken Ausgaben mit Plastikeinband *g*). Und hier finden sich auch wenig bekannte Autor/innen, Poetry Slams, Street Art, lebendige Popkultur.

3. Pioneer Square.

Das ist so ein Treffpunkt für das übliche alternative, hippe oder einfach ganz normale Publikum, das dort auf den Stufen eines einem antiken Theaters nachempfundenen Platzes sitzt und die Nase in die Sonne hält, seltsame Reden mit Bibel in der Hand schwingt, einen schnellen Lunchsnack zu sich nimmt, schlecht schmeckenden amerikanischen Kaffee trinkt, Zeitung liest, Fußball spielt, Klamotten herzeigt oder mal eben seine Ratte in einer leeren Waschpulverbox spazieren trägt (naja). Auf so Plätzen kann man sich vermutlich an jedem Ort der Welt stundenlang aufhalten, ohne sich zu langweilen *g*

Rätselhaft: was finden nur alle an diesen kleinen Hündchen? Dauernd sehe ich hier Hunde, aber die meisten davon im Handtäschchenformat. Und die werden immer winziger. Nicht wenige in der individualisierten Version mit grellen Accessoires oder zumindest einem maßstabgerechten Bandanatuch um den Hals. Einerseits sinnvoll (große Hunde in der Großstadt = große Verantwortungslosigkeit), aber andererseits tun sie mir leid. Ich stelle mir vor, die Armen laufen einmal einem selbstbewussten Kungfu-Eichhörnchen über den Weg und haben das letzte Mal in ihr Katzenklo im 15.Stock gepieselt. Und heimlich träume ich von einer Minihund-Revolution. Wenn sie sich mit den Waschpulverbox-Ratten verbünden würden, hätten sie vielleicht sogar eine Chance.

Letzte Woche meinte noch ein anderer internationaler Student zu mir, Portland sei langweilig, nur zwei Straßen und nicht so dolle. Also, ich und meine kindliche Begeisterungsfähigkeit, wir beide wären am liebsten hier eingezogen. Ach, ich bin immer noch verliebt in Oregon und würde euch alle so gern hierher beamen, damit ihr das alles auch sehen könnt. Aber leider gibt es nicht einmal viele schöne Fotos (Wolkenkratzer und Hochhausschluchten machen schlechte Motive, besonders, wenn man in Eile ist). Beim nächsten Mal, versprochen ;)


Bilder. Darauf wartet ihr doch.


Ich bin mir immer noch nicht sicher, welche Geste diese anonyme Riesenhand dort macht. Je nach Perspektive sieht es auch jedesmal anders aus, von obszön bis "très bien!"


Eine Hauswandwerbung für "Old Town", das zwischen Szeneviertel und abgefuckt schwankt. Auf jeden Fall sehr nett, wenngleich nicht so charmant wie die bemalten, oft verwitterten Hauswandbilder in den kleinen Städten in Oregon


Der Saturday Market in Old Town, den ich oben beschrieben habe, der entgegen seines Namens aber angeblich auch sonntags stattfindet: ein wenig an deutsche MA-Märkte erinnernde Flagge mit schüchterner Taube.




Auch der Eingang zu dem sich unter der Überführung befindlichen Markts hatte etwas eindeutig Mittelaltermarktiges


Elefantöses Lieblingsbild. Sogar das Gerüst passt dazu und wirkt unter dem Einfluss fast Viktorianisch


Bondage-Baum vor Hotel. Vermutlich Kunst. Vielleicht aber auch nur ein als Öko-Aktivist getarnter Riesenkraken.


Passend zum Charakter der amerikanischen öffentlichen Toilette, die einen quasi zum Exhibitionismus zwingt (daumendicke Spalten an beiden Seiten der Tür): nein, das ist kein Hinweisschild, das auf einen Night club verweist.



Telefonitis. He, Stefan, erinnerst du dich noch an die Kunstausstellung in Hamburg ;)


Und hier: Powell's. Mekka, Lourdes, Powell's.

Wie immer, steht einem hier beim Fotoknipsen eine Straßenschlucht und mindestens 2,7 Straßenlaternen im Weg.


Es gibt sie aus in Amerika. Allerdings geht die amerikanische Burda etwas nach.

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