Samstag, 8. November 2008

Planspiele

Heute Mittag tippte ich ziemlich verzweifelt in mein LJ:

„Mir fällt hier gerade die Decke auf den Kopf. Ich denke, ich nehme spontan den Zug, der in einer halben Stunde nach Portland fährt. Alleine.
"Lagerkoller" und Heimweh.
Außerdem regnet es aus Eimern. Ganz eklig.
Und wenn ich die 30$ für den Zug nur dafür bezahle, mich in Portland in ein Café zu setzen und in den Regen rauszustarren. Egal. So eine Art von Melancholie ist mir im Moment lieber, als hier auf dem Zimmer zu sitzen oder bemüht small talk zu machen.
Wenn man einsam in Cafés in Portland sitzt, sieht man wenigstens Erwachsene und der Kaffee ist besser. In einem Café in einer Stadt zu sitzen und zu lesen ist nun einmal etwas anderes, als das Gleiche hier zu tun. Wirklich.
Am liebsten wäre mir im Moment ein Café, das altmodisch-verschroben eingerichtet ist und so klein, dass es nur drei Tische gibt, und ein Buch mit der Atmosphäre von "In the mood for love". Dabei möchte ich eins der tollen Kleider von Maggie Cheung in besagtem Film tragen und auf eine entrückte Art und Weise unglücklich aussehen.
Ich glaube, ich nehme den nächsten Zug und ziehe zumindest hochhackige Stiefel an.“

Das habe ich dann auch wirklich so gemacht.

Bereits die Hinfahrt hat mir gut getan. Die Landschaft leuchtete in grellsten Herbstfarben (trotz verhangenem Himmel) und war schlichtweg liebenswert. Ich kann ja stundenlang einfach nur Landschaft lieben. Deswegen fahre ich auch so gerne Zug: eine große Menge an Landschaft wird am Fenster vorbeitransportiert, während man sich gemütlich zurücklehnt. Und die ist hier ja in Oregon besonders schön und abwechslungsreich. Und dann noch Herbst. Mir ging es also sofort besser. Dem Wetter übrigens auch, hinter Salem hörte nämlich der Regen auf.

Auf der Zugfahrt sind mir auch wieder die vielen Gärtnereien aufgefallen. Ich glaube, das Willamette Valley ist der größte Baum- und Strauchlieferant der USA. Es gibt hier Riesenfelder voller schnurgerader Reihen von Sträuchern und Baumschulen mit SchülerInnen in allen Altersklassen, von Krabbelgruppe bis Universität. Letztere vermutlich für Parkanlagen, das sind richtig „ausgewachsene“ Bäume :)

In Portland dann (natürlich!) strahlender Sonnenschein. Mittlerweile glaube ich fest daran, dass das gute Wetter ein Herz mit mir hat. Inzwischen war ich sowieso schon bester Laune, von der ganzen Landschaft und dem Gefühl, erfolgreich einem langweiligen, depressiven Salem-Samstag ein Schnippchen geschlagen zu haben.

In Portland wollte ich eigentlich in das Cowboy-Museum, aber das war zeitlich nicht mehr zu schaffen, zumal ich mich verlaufen habe. Ich bin dann in Portland spazieren gegangen, habe einen leckeren Spinatsalat mit ein paar Schafskäsekrümelkes und gerösteten Pinienkernen gegessen und mir von dem Weihnachtsgeschenk-Geld meiner Oma bei GAP einen wunderschönen grauen Faltenrock (leicht militärisch und sitzt wie für mich geschneidert) gekauft. Und habe mir gutaussehende Menschen angeguckt und wurde von gutaussehenden Menschen zurück angeguckt. Das hat sehr gut getan. Bin weiter durch Seitenstraßen flaniert, wobei ich etliche wunderbare Shops entdeckt habe, die ich noch nicht gesehen hatte. Gothic-Läden, Secondhand Bücherläden, alternative Kneipen, Streetart-Läden, eine Disco,… alles aber nicht so schick und edel wie in Seattle, sondern eher mit dem eigenen Selfmade-Zusammengesucht-Charme. Das mag ich ja auch sehr.

Dann habe ich auch die Café-Situation durchgespielt. Natürlich nicht im Starbucks, sondern mit Bedacht ausgewählt. Ein gemütliches Café, recht klein und wirklich etwas verschroben-zusammengesucht wirkend. Nicht so extrem, wie in meiner Vorstellung, aber vor dem Eingang stand ein rauchender Metaller mit Ledermantel und Hut und drinnen gab es gepiercte, tätowierte Barristas, guten Kaffee und…. gute Musik. Nicht wie „In the mood for love“, sondern Indie mit südosteuropäischem Folklore-Einschlag. Und ich war auch nicht unglücklich, sondern habe mich gefühlt wie eine Katze, wenn es Wolle regnet.

Auf dem Rückweg habe ich dann noch bei Powell’s reingeschaut und den zweiten Farside-Band von Gary Larson gekauft. Dabei ist mir noch etwas Lustiges passiert. Und zwar habe ich beim Betreten des Ladens gepiepst. Einer der Verkäufer hat mich dann zu sich gewinkt, sehr höflich, und ich wusste auch sofort, woran es gelegen hat (schon auf dem Hinweg bin ich bei Powell’s gewesen und habe gepiepst, allerdings war so ein Andrang, dass es niemandem aufgefallen ist). Ich hatte nämlich noch zwei DVDs aus der Uni-Bibliothek im Gepäck, die ich auf dem Weg zum Zug noch hatte abgeben wollen. Okay, ich habe das dem Verkäufer erklärt, die DVDs abgegeben, noch einmal – ohne Piepsen – durch die Sicherheitsschranke gegangen, und habe eine Nummer bekommen, um die Filme beim Verlassen des Ladens zurückzubekommen.

Nach Stöbern und Bezahlen von Larson (eigentlich ist Powell’s echt teuer für gebrauchte Bücher...) habe ich dann artig meine DVDs wieder abgeholt und bin gegangen (übrigens war der Verkäufer nun der gleiche, der mich auch beim ersten Mal in Portland bedient hat… so ein kleiner Punker). Und piepste. Wortlos umgedreht, unaufgefordert zurück zum Verkäufer, das gleiche Sprüchlein wie zuvor, DVDs ausgehändigt, noch einmal durch die Sicherheitsschranke. Der Punk-Verkäufer gottergeben mit den Filmen hinterher wie der Page hinter dem König *g*

Auf dem Rückweg dann auf einmal Jazzmusik in der Straße. Ich gucke durch ein vermeintliches Schaufenster und es ist ein Restaurant mit Life-Auftritt, eine ganze Jazzcombo. So richtig amerikanisch, wie man das aus Filmen kennt: schreiend roter Flitter-Vorhang im Hintergrund, Jazzer in schwarzen Anzügen (und Fliege), alles leuchtet grell und golden im Scheinwerferlicht, besonders das Saxophon rechts außen. Dazu wohlgesittet speisende Leute. Klasse.

Auf dem Rückweg hat der Zugführer gesagt, wenn jemand das Rauchverbot missachtet, muss er in ein Gefängnis in Sibirien. Neben blöden Witzen wie diesen, die ich trotzdem lustig finde, gibt es außerdem Durchsagen, die die Passagiere auf Eigentümlichkeiten der durchquerten Landschaft hinweisen. Auf den Willamette River zum Beispiel. Jedesmal, außer im Dunkeln. Weil man dann den Fluss eh nicht sieht. Das ist ebenfalls so amerikanisch, kommt aber leider nie in Filmen vor.

Jetzt liege ich bester Laune auf meinem Bett und finde, dass die 30$ es wert gewesen sind.

1 Kommentar:

Kathi hat gesagt…

Das hört sich wundervoll an!